Der Texter Michael Schmidt-Salomon:
Vorbemerkung:
Tag für Tag gehen bei mir so viele Emails ein,
dass ich sie beim besten Willen nicht mehr persönlich beantworten
kann. Seit Oktober 2007 beziehen sich einige dieser Emails auf
das religionskritische Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte
das kleine Ferkel“, das ich zusammen mit dem Zeichner Helge Nyncke
fabriziert habe. Die allermeisten Reaktionen auf das Buch waren,
was mich ebenso überrascht wie erfreut hat, ausgesprochen
positiv. Es gab jedoch auch kritische Einwände. Da mir die
Zeit fehlt, auf diese Einwände individuell zu reagieren, habe
ich die zentralen Fragen aus den Emails, die mich erreicht haben,
in diesem FAQ zusammengestellt. Ich hoffe, dass meine Antworten
einige Unklarheiten beseitigen können. Sollten in künftigen
Mails weitere, bislang unbeantwortete Fragen von allgemeinem Interesse
auftauchen, werde ich dieses FAQ entsprechend ergänzen.
Frage: Ihnen ist in dem Buch offenbar
ein Fehler unterlaufen: Der Mufti lässt das Ferkel
in seine Moschee hinein, während
der Rabbi den Zutritt zur Synagoge verweigert. Schweine
jedoch sind für Muslime ebenso „unrein“ wie für
Juden. Wieso also hat der Mufti das Ferkel nicht sofort
abgewiesen?
Antwort: Wahrscheinlich
hat der Mufti das Ferkel gar nicht als solches erkannt,
was, wie ich meine, durchaus verständlich
ist. So oft wird man ja nicht mit kleinen Schweinchen konfrontiert,
die erstens sprechen können und zweitens den Weg zu Gott suchen,
nicht wahr? Übrigens musste auch der Rabbi erst einmal nachfragen,
ob die Mutter des Ferkels jüdisch ist, bevor er ihm den Zutritt
zur Synagoge verweigerte…
Im Ernst: Der eigentliche Grund dafür, warum Mufti und Bischof
Igel und Ferkel mit offenen Armen empfangen, während der Rabbi
gegenüber beiden von vornherein abweisend ist, liegt natürlich
auf einer anderen Ebene: Christentum und Islam sind im Unterschied
zum Judentum missionarische Religionen. Sie sind darauf ausgerichtet,
ihre Anhängerschaft stetig zu vergrößern – ein
Aspekt, der dem Judentum fern ist. Deshalb treten der Bischof und
der Mufti am Anfang auch so sympathisch-werbend auf. Umso enttäuschter
sind sie natürlich, als sie feststellen müssen, dass
Ferkel und Igel ihnen nicht auf den Leim gehen …
Frage: Befürchten Sie nicht, durch
die Darstellung des orthodoxen Rabbis in die antisemitische
Ecke geschoben zu
werden?
Antwort: Im
iranischen Fernsehen wurde vor kurzem noch behauptet, ich sei
ein „Agent
Israels“, der mit dem „Zentralrat der Ex-Muslime“
auf „typisch jüdische“ (meint wohl: hinterlistige) Art einen
Angriff auf den Islam gestartet habe. Da macht sich das neue Etikett
„Antisemit“ doch ganz gut in meinem Portfolio! So viele „antisemitische
jüdische Agenten“ dürfte es ja nicht geben…
Im Unterschied zu jenen selbsternannten „Antifaschisten“,
die sich bislang über die Figur des Rabbis aufgeregt und dabei überaus
merkwürdige Vergleiche gezogen haben, weiß ich aus eigener
Erfahrung, was Antisemitismus bedeutet. Wegen meines jüdisch
klingenden Namens werde ich seit 1994 regelmäßig als
„Judensau“ beschimpft und auch massiv bedroht – meist von
Christen, mitunter auch von Muslimen. Deshalb nehme ich mir
das Recht heraus,
in aller Offenheit jene orthodoxen Juden zu kritisieren,
die ebenso wie fundamentalistische Christen und Muslime vom
Gotteswahn befallen
sind. Mit Antisemitismus hat das selbstverständlich nichts
zu tun! Wer liberale oder gar säkulare Juden – insgesamt glücklicherweise
die Mehrheit! – von diesen glaubensfanatischen Löckchenträgern
nicht unterscheiden kann, der ist wirklich selber schuld! Übrigens:
Niemand macht schärfere Witze über Ultraorthodoxe als
säkulare Juden…
Frage: Warum haben sie sich ausgerechnet
ein Ferkel als Protagonisten ihrer religionskritischen
Fabel ausgesucht? Ist
das nicht eine sehr plumpe Provokation?
Antwort: Der
Titel „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ ist
nun einmal
weit komischer als etwa der Titel „Wo bitte
geht’s zu Gott? fragte das kleine Eichhörnchen“. Warum das
so ist, kann man relativ leicht erklären: Der englische Philosoph
Herbert Spencer fasste das Wesen des Komischen einmal treffend
mit dem Begriff „descending incongruity“, der „absteigenden Inkongruenz“.
Komisch ist es nach Spencer, wenn zwei inkongruente Informationen
aufeinander treffen und die eine die andere absichtsvoll herunterzieht.
Je krasser dabei die Differenz zwischen gewolltem Schein und realem
Sein ausfällt, desto größer ist der komische Effekt
– und ein reales Ferkel steht nun einmal im größtmöglichen
Gegensatz zu der vermeintlich so hehren Gottesfrage.
Dies wiederum ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen,
dass die abrahamitischen Religionen seit jeher Schweine als besonders
„unreine Tiere“ ablehnen. Im Falle des Christentums ist dies sicher
nicht so deutlich wie bei Judentum und Islam, die sich beide durch
eine besonders hartnäckige Form der Schweine-Phobie auszeichnen.
Das „Schwein“ ist allerdings auch im christlichen Verständnis
Inbegriff des „Unreinen“, des „Unsittlichen“. Man denke nur an
den „Schweinskram“ der Sexualität oder an die einst bei Christen
so beliebte, herabwürdigende Darstellung der sog. „Judensau“.
Dass das Ferkelbuch mit diesen Assoziationen spielt, ist
evident. Unklar ist mir jedoch, warum dies eine plumpe Provokation
sein soll. Wäre es nicht vielmehr plump, ja sogar hochgradig
infantil und wahnhaft, wenn sich Gläubige tatsächlich
durch eine niedliche Darstellung eines Mitglieds der (im Übrigen
ungewöhnlich intelligenten) Säugetierfamilie Suidae provoziert
fühlen würden? Wer sich durch den Anblick eines Schweinchens
in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlt, hat
ganz offensichtlich „nicht mehr alle Tassen im Schrank“…
Frage: Machen Sie es sich nicht zu leicht,
wenn Sie – wie Dawkins - die Religionen auf ihre fundamentalistische
Ausprägungen
reduzieren? Gibt es denn nicht viele gläubige Juden, Christen
und Muslime, die sehr aufgeklärt sind und humanistische
Werte vertreten?
Antwort: Selbstverständlich gibt es Millionen aufgeklärter,
humanistisch denkender „Gläubige“ in allen Religionen. Die
Frage ist allerdings, inwieweit diese tatsächlich noch „gläubig“
sind! Ist man wirklich ein „gläubiger Christ“, wenn man –
wie derzeit die überwiegende Mehrheit der Kirchenmitglieder
in Deutschland – nicht einmal mehr an einen personalen Gott glaubt?
Wenn man die reale Existenz der Hölle und des Teufels oder
die leibliche Auferstehung Jesu von den Toten bestreitet? Wenn
menschliche Kommunikation gelingen soll, so muss doch sichergestellt
sein, dass die Begriffe, die wir verwenden, irgendwie stringent
sind, d.h. nicht bloß Worthülsen ohne inhaltliche Bedeutung.
Aus gutem Grund würde niemand einen Menschen, der (wissenschaftlich
korrekt) die Existenz von Menschenrassen bestreitet, als „Rassisten“
bezeichnen. Warum also sollten wir einen Menschen, der zentrale
Inhalte des Christentums leugnet, „Christen“ nennen? Würden
wir die realen Dimensionen des Rassismus nicht völlig verkennen,
wenn wir dabei den „Rassenleugner X“ vor Augen haben? Und verkennen
wir nicht auch die realen Dimensionen des Christentums, wenn wir
uns dabei ausgerechnet auf den „Höllenleugner Y“ beziehen?
Ich habe für die humanistisch-aufgeklärerisch gezähmte
Version der Religion den Begriff „Religion light“ vorgeschlagen.
Wir sollten nicht den Fehler machen, „Religion light“ mit echter,
authentischer Religion zu verwechseln. Nur weil hierzulande momentan
die überwiegende Mehrheit der Menschen nicht unter einem „Gotteswahn“
leidet bzw. nur eine ungefährliche, homöopathische Dosis
an „Gotteswahn“ abbekommen hat, heißt das noch lange nicht,
dass es den „Gotteswahn“ nicht gibt oder dass er (welt-)gesellschaftlich
bedeutungslos sei. Das Gegenteil ist der Fall! Der Gotteswahn ist
weltweit auf dem Vormarsch. Das freundlich-nebulöse, pseudo-christliche
Spiel mit theologischen Leerformeln („Die Hölle ist nur eine
Metapher!“) hatte im Weltmaßstab noch nie Bedeutung und wird
auch hierzulande über kurz oder lang in Vergessenheit geraten.
Je früher wir das erkennen, umso besser…
Frage: Ist es nicht unverantwortlich,
Religionen als Wahnsysteme darzustellen und damit lächerlich
zu machen? Müssen
wir die Kinder nicht vielmehr zu Toleranz erziehen? Und
verlangt dies nicht vor allem den Respekt gegenüber
den (religiösen) Überzeugungen
anderer?
Antwort: Zunächst eine Anmerkung zum Stichwort „Lächerlichkeit“:
Ich mache Religionen nicht lächerlich, sie sind lächerlich
aus sich selbst heraus – und diese genuine Lächerlichkeit
zeigt sich gerade dann in besonderem Maße, wenn man in aufklärerischer,
d.h. nicht-vernebelnder Weise über Religionen schreibt. Wenn
Sie diese ungeschminkte Einschätzung „respektlos“ nennen wollen,
ist das Ihr gutes Recht. Mit fehlender Toleranz hat dies aber nichts
zu tun! Meines Erachtens beruht der ganze Ansatz der Frage auf
einer problematischen Verwechslung von Toleranz, Akzeptanz und
Ignoranz. Um das zu erklären, muss ich leider etwas weiter
ausholen und die Begriffe voneinander abgrenzen:
Toleranz ist eine Last. Das sagt schon die etymologische
Herkunft des Wortes über das lateinische tolerare, das von
tolus (=„Last“) abgeleitet ist und das man mit „ertragen“, „durchstehen“,
„aushalten“ oder „erdulden“ übersetzen kann. Toleranz meint
die Fähigkeit, störende bzw. verstörende Formen
des Andersseins oder Andershandelns erdulden zu können. Wer
tolerant ist, der nimmt es hin, dass andere Menschen in unangenehmer
Weise anders denken, handeln, empfinden.
Akzeptanz leitet sich demgegenüber vom lateinischen „accipere“
ab, das „annehmen“, „übernehmen“, „gutheißen“ bedeutet.
Was man akzeptiert, das duldet oder toleriert man nicht nur bloß,
man ist mit ihm einverstanden. So toleriere ich Homosexualität
nicht nur, ich akzeptiere sie vielmehr als völlig legitimen
Ausdruck menschlicher Sexualität, auch wenn ich persönlich
heterosexuell veranlagt bin.
Tolerieren muss ich nur, was ich nicht akzeptiere, was ich
nicht respektiere, was mir vielleicht sogar im höchsten Maße
lächerlich vorkommt, wie etwa die Tatsache, dass Christen
im Rahmen eines rituell-kannibalischen Akts, den sie „Kommunion“
nennen, ihren Erlöser verspeisen. Nimmt man mir die Möglichkeit
meinen fehlenden Respekt gegenüber solchen archaischen Praktiken
in aller Deutlichkeit zu äußern, so nimmt man im gleichen
Schritt Christen die Gelegenheit, erstens eine andere Sichtweise
auf ihren Glauben kennenzulernen und zweitens sich in Toleranz
zu üben. Gerade letzteres wäre aber dringend geboten,
schließlich ist Toleranz, in diesem Fall: die Duldung der
Existenz glaubensfeindlicher Überzeugungen, etwas, was gerade
sehr religiösen Menschen äußerst schwer fällt
(siehe etwa den Karikaturenstreit).
Der dritte Begriff, Ignoranz, geht auf das lateinische Substantiv
ignorantia (= Unwissenheit, Dummheit) zurück und bezeichnet
die Unfähigkeit, bedeutsame Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen.
Manch einer, der tolerant erscheint, ist in Wahrheit nur ignorant,
da er gar nicht die Lasten bemerkt, die er vielleicht erdulden
müsste oder gegen die er sich möglicherweise sogar wehren
sollte. Wer sich beispielsweise nicht darum kümmert, was innerhalb
islamistischen Gruppierungen geschieht, der neigt weit eher dazu,
sich in repressiver Weise tolerant zu äußern („Leben
und Lebenlassen: Lasst die Leute doch machen, was sie wollen!“),
als diejenigen, die einen guten Einblick in die Szene haben.
Ignorante Personen sind aufgrund Ihrer fehlenden Kenntnis
der zugrunde liegenden Sachverhalte nicht in der Lage, vernünftige
Grenzen der Toleranz bzw. der Akzeptanz zu formulieren. Echte Toleranz
setzt nämlich ebenso wie echte Akzeptanz Einiges an Sachkenntnis
voraus. Bevor man vernünftig entscheiden kann, ob etwas geduldet
oder vielleicht sogar akzeptiert werden kann, ist es wichtig zu
wissen, um welche Sachverhalte es überhaupt geht.
Damit zurück zum Ferkelbuch: Das Buch wendet sich zunächst
einmal gegen Ignoranz. Es klärt über einige sehr zentrale
Glaubensinhalte der drei abrahamitischen Religionen auf (die schreckliche
Eifersucht Jahwes und seine hierauf gründenden, inhumanen
Strafaktionen; die vermeintliche Erlösung des Menschen durch
die Hinrichtung Jesu am Kreuz und das Verspeisen des Hingerichteten
im Zuge der Kommunion; die kleinlichen lebenspraktischen Vorgaben
Mohammeds sowie die gewalttätige Missachtung der „Ungläubigen“
im Koran). Wenn diese Glaubensinhalte in den Auseinandersetzungen
mit den Religionen ignoriert werden, führt dies zu einer falschen
Akzeptanz, einem falschen Respekt gegenüber derartigen Wahnideen.
So unsinnig es wäre, diese Ideen zu respektieren, so klar
ist aber auch, dass wir sie tolerieren müssen, sofern die
Religionen ihrerseits die Grenzen des Rechtstaates einhalten. Ferkel
und Igel machen daher, obwohl sie von den Gottesdienern doch einigermaßen
in die Mangel genommen wurden, keinerlei Anstalten, die Religionen
verbieten zu wollen. Vielmehr erdulden, tolerieren sie die Existenz
religiöser Wahnideen, denken aber - wie ich meine: aus gutem
Grund! – auf diese verzichten zu können.
Frage: Ist Ihr Buch nicht Ausdruck eines
aggressiven, missionarischen und dogmatischen Atheismus?
Machen Sie denn nicht
genau das, was Sie den Religionen vorwerfen? Versuchen
Sie nicht auch, Kinder zu indoktrinieren?
Antwort: Zunächst einmal sollte man wahrnehmen, dass das
Buch eher agnostisch als atheistisch argumentiert. So sagt der
Igel nach überstandenem Abenteuer: „Ich glaub’ ja, dass es
den Herrn Gott überhaupt nicht gibt! Und wenn doch [sic!],
dann wohnt der bestimmt nicht in diesen Gespensterburgen [meint:
der Synagoge, dem Dom oder der Moschee]!“ Ein „aggressiver, dogmatischer
Atheist“ würde seine Figur sicherlich anders sprechen lassen…
Die entscheidende Frage ist jedoch: Ist es „Indoktrination“,
wenn man Kinder in humorvoller Weise über die fehlende Logik
und die Absurditäten der traditionellen Glaubenssysteme aufklärt?
Wohl kaum! Auch Kinder haben ein Recht auf Aufklärung! Sie
sollten nicht schutzlos den wissenschaftlich unhaltbaren und ethisch
problematischen Erzählungen der Religionen ausgeliefert sein!
Angesichts der ungeheuren Masse religiöser Kinderbücher
war das Ferkelbuch dringend erforderlich – nicht nur weil es zur
Herstellung weltanschaulicher Pluralität im Kinderzimmer beiträgt,
sondern auch weil wir ein wirksames Gegengift gegen die vielfältigen
Formen religiöser Indoktrination benötigen.
Ich bin überzeugt (und das haben viele Zuschriften auch bestätigt!),
dass das Ferkelbuch Kinder vor den Gefahren religiöser Traumatisierung
schützen kann, da es hilft, die angsteinflößenden,
imaginären Konzepte von Gott, Hölle, Teufel humorvoll
zu überwinden. Zudem stärkt das Buch mit seiner „Moral
von der Geschicht’: Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!“
die Position konfessionsloser Eltern und Kinder, denen von religiöser
Seite oft unterstellt wird, ihnen würde etwas Wesentliches
im Leben fehlen.
Konfessionslose sollten in diesem Zusammenhang, wie ich meine,
selbstbewusster auftreten: Uns, die wir archaische Mythen überwunden
haben, fehlt nämlich gar nichts – wohl aber jenen, die meinen,
„Gott“ zu kennen oder sogar einen „direkten Draht“ zu ihm zu haben!
Ist es nicht Ausdruck eines kaum noch steigerungsfähigen Größenwahns,
wenn Juden, Christen, Muslime meinen, bei der vermeintlichen „Schöpfung“
des Universums sei es letztlich nur um ihr „Seelenheil“ gegangen,
um die Belange einer (dank des Aussterbens der Dinosauriers) zufällig
entstandenen, mäßig intelligenten Säugetierart
auf einem kleinen unbedeutenden Planeten am Rande der Milchstraße?!
Wie beschränkt muss man eigentlich sein, um angesichts der
ungeheuren Dimensionen des Kosmos annehmen zu können, wir
seien der Nabel der Welt?! In früheren Zeiten, in denen die
Menschen noch meinten, die Erde sei der Mittelpunkt des Universums,
waren solche anthropozentrischen Sichtweisen vielleicht noch nachvollziehbar.
Heute sind sie es nicht mehr! Wir sollten unseren Kindern daher
so früh wie möglich das Rüstzeug mitgeben, um derartigen
Unsinn durchschauen zu können. Ferkel und Igel sind dabei
hoffentlich gute Vorbilder…
Frage: Sind Übersetzungen in andere
Sprachen geplant und denken Sie an eine Fortsetzung des
Buches?
Antwort: Da
das Buch von seiner Anlage her, soweit wir wissen, weltweit einzigartig
ist, wären Ausgaben in anderen Ländern
natürlich sinnvoll. Eine englische Übersetzung des Buches
wurde auch bereits erstellt (Richard Dawkins erhielt im Oktober
zum Festakt der Verleihung des Deschner-Preises ein entsprechendes
Einzelexemplar, das ihm ganz offensichtlich auch sehr gut gefiel
– immerhin empfahl er das Buch gleich am nächsten Morgen auf
der Frankfurter Buchmesse), Übersetzungen in andere Sprachen
sind bereits geplant. Entscheidend wird aber sein, ob ausländische
Verlage ein Marktpotential für das Buch sehen und ob sie den
Mumm haben, ein derartig tabuverletzendes Buch zu publizieren.
Der Alibri Verlag, in dem die deutsche Originalausgabe erschien,
wird verständlicherweise keine fremdsprachigen Ausgaben publizieren.
Eine Fortsetzung des Ferkelbuchs ist nicht geplant. Jedoch
habe ich bereits zwei weitere Kinderbücher in der Schublade.
Das eine beschäftigt sich kindgerecht (und zwar schon für
die Zielgruppe der Dreijährigen) mit Fragen der Ethik, das
andere (eher für Größere gedacht) mit dem Widerspruch
zwischen Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorie. Mehr
will ich über diese Projekte derzeit aber noch nicht verraten…
Der Illustrator Helge Nyncke:
Vorbemerkung:
Der Autor eines Bilderbuches hat erfahrungsgemäß die
Hauptlast zu tragen, wenn es um Lob oder Kritik an dem Gesamtwerk
geht. Das rührt daher, dass die Sprache und somit das Vehikel
der Geschichte in unseren Köpfen bereits als eine abstrakte
Ebene bewusster Erfindung behandelt wird, während die Welt der
Bilder für viele Leser zunächst mal einfach nur da ist.
Dass auch dieser Ebene ein Prozess der bewussten Gestaltung zu Grunde
liegt, erfährt man erst durch sehr genaues Hinsehen. Oder
Nachfragen. Darum sind hier ergänzend auch einige Gedanken zur
Illustration des Ferkelbuches vom Künstler Helge Nyncke
nachzulesen. Die Fragen dazu stellte sich der Illustrator selber. Vor
dem Malen.
Frage:
Warum sehen die beiden Hauptfiguren aus, wie sie aussehen?
Antwort:
Eine Figur, oder wie hier gleich ein Doppelteam zu erfinden, ist ein
spannender Prozess. Da ist viel Einfühlungsvermögen und
Fantasie gefragt. Die beiden Helden sollten natürlich
sympathisch und ansprechend wirken, zugleich aber nicht all zu sehr
in altbekannte Klischees abrutschen – schließlich geht es
hier um eine ganz und gar neue Geschichte. Darum ist das Ferkel nicht
kugelrund und rosa wie Andere, sondern eher schlank und gefleckt. Der
Igel kommt eher praktisch und burschikos daher, beide gehen aufrecht
und haben wenige eher menschliche Accessoires an sich. Tiere in
solchen Geschichten sind ja immer Übersetzungen von menschlichen
Charaktertypen. Die hervorstechenden Eigenschaften bei diesen beiden
sind: natürlicher Charme, Neugier, Empathie und
Selbstbewusstsein. So wie man es den meisten gesunden Kindern
attestieren kann, die sie hier stellvertreten.
Frage:
Sind die drei Religionsvertreter, insbesondere der Rabbi, in dieser
Art der Darstellung nicht allzu stark dämonisiert?
Antwort:
So wie die beiden Tiere eigentlich für Kinder allgemein stehen,
so treten auch die drei frommen Männer hier nicht wirklich als
Individuen, sondern als Stellvertreter, also in einer Rolle in dieser
Geschichte auf. Solche Rollen sind wie im Theater immer mit möglichst
klar charakterisierten Archetypen besetzt, die ja etwas verdeutlichen
sollen. Ich hätte alle drei natürlich auch im neutralen
bürgerlichen Anzug als moderne und aufgeklärte Seelsorger
darstellen können. Aber in so einem Aufzug wäre kaum zu
vermitteln gewesen, warum sie aussehen wie du und ich, aber trotzdem
so merkwürdige und unverständliche Dinge von sich geben.
Ihr skurilles Äußeres spiegelt also nur ihre skurille
Innenwelt wider, und zwar deutlicher und authentischer als jede auf
Normalität getrimmte Camouflage. Damit sind sie ehrlicher, als
so mancher zeitgenössische Geistliche. Dabei war mir natürlich
besonders wichtig, alle drei Vertreter gleich zu behandeln: alle
frönen komischen Kleidermarotten, sind nicht die Allerschönsten,
sind streng und belehrend und können, wenn ihnen widersprochen
wird, auch ausgesprochen unwirsch aus ihrer Rolle fallen. Keiner
kommt dabei besser oder schlechter weg, als irgendein anderer – es
geht ja schließlich auch nicht um die Personen, sondern um das,
was sie vertreten.
Frage:
Einige Bilder wirken sehr eindringlich, fast suggestiv. Ist das für
ein Kinderbuch nicht zu starker Tobak?
Antwort:
Langweilige Bilder sollen Andere malen, ich lege schon sehr großen
Wert auf die fühlbare Botschaft, die ein Bild transportieren
soll. Dabei muss man gar nicht unbedingt übertreiben – im Bild
zur Sintflut zum Beispiel sind keine ertrunkenen Leichen zu sehen,
aber ihre im Hintergrund hilflos dahin schwimmenden Schuhe und
Kleidungsstücke lassen das Grauen dieses barbarischen
Vernichtungsaktes in der Fantasie um so wirkungsvoller erscheinen.
Auch der blutende Christus ist nicht drastischer dargestellt, als in
jeder Kirche. Erst im Zusammenspiel mit der trüben Stimmung und
den erschrockenen Blicken der beiden Tiere kann man über diese
Menschen verachtende Leichenschau so richtig ins Grübeln kommen.
Auch die Schlussszene in der Moschee wirkt eher turbulent als
bedrohlich, hat aber für einen sensiblen Beobachter durchaus das
Potential, vor wütenden und tobenden Menschenansammlungen Angst
zu bekommen. Aber wohl gemerkt: das spielt sich erst im Kopf ab und
nicht bereits auf den Bildern. Erst wer den passenden
Übersetzungsschlüssel im Kopf hat, versteht die Botschaft
der Bilder. Darum können sie auch unbedarften Kindern niemals
gefährlich werden, da diese sie gar nicht so verstehen können.
Kinder verstehen immer nur gerade so viel, wie es ihrem derzeitigen
Entwicklungsstand entspricht. Meine Bilder wahren mit Bedacht genau
diese Grenze, an der man es den Kindern selber überlässt,
Dinge aufzunehmen oder einfach zu übersehen. Außerdem gibt
es im Buch auch ausgesprochen vergnügliche Szenerien, etwa den
Tanz der selbst erfundenen Gottheiten, der vor Fantasie nur so sprüht
und den erbosten Geistlichen daneben nur noch albern aussehen lässt.
Auch die Klopperei gegen Ende ist eher eine komische Parodie als eine
wirkliche Illustration der grausamen Religionskonflikte. Und die
Szenen aus dem „normalen“ Leben der Tiere sind doch wirklich
allerliebst und das reinste Bilderbuchidyll.
Frage:
Ist nicht mit der Parade der Nackten am Ende eine Schamgrenze
überschritten, die sowohl im Kinderbuch wie im Umgang mit
ehrwürdigen Religionsvertretern gewahrt werden müsste?
Antwort:
Ich sage dazu immer, jeder Mensch wird als Baby und vollkommen nackt
geboren und ist genau in diesem wunderbaren Moment vollkommen. Wer
das nicht akzeptiert, der weigert sich, die Natur zu akzeptieren.
Jeder danach folgende kulturelle Überbau mit seinen
Schamgrenzen, Tabus und Regelwerken verstellt uns doch nur den Blick
auf den wahren Kern des Themas, nämlich die unbedingte
Gleichheit und Würde jedes einzelnen Menschen, egal ob schwarz,
braun oder weiß, ob dick oder dünn, blank oder behaart,
Frau oder Mann oder Kind, Baggerfahrer, Hausfrau oder selbst
ernannter Heiliger, Jude, Christ, Moslem oder Freidenker. Für
mich sind als Menschen alle gleich, was man am Besten dadurch zeigen
kann, das man sie einfach auszieht. Da liegt die unverstellte
Wahrheit, darum auch der dezente Hinweis auf des Kaisers neue
Kleider. Für solche klaren Einsichten sind die allermeisten
Kinder offen, wenn auch manchmal bereits durch entsprechende
Erziehungsmaßnahmen nach außen schon mal eher peinlich
berührt. Erwachsene dagegen tolerieren solche Offenheit dagegen
meistens deutlich weniger. Aber gerade als Schlussbild fand ich diese
Ansicht sehr schön als Symbol für die Anerkennung der
schlichten Menschlichkeit gerade auch der vorher eher unsympathisch
gezeichneten Religionsvertreter – bar ihrer aufgesetzten
Verkleidungen sind sie im Grunde nicht anders als du und ich. Ist
doch eine sehr versöhnliche und menschliche Geste, oder?
Frage:
Wäre es aber dennoch nicht angezeigt, gerade den durch
Antisemitismus oftmals gedemütigten Juden oder den in ihren
religiösen Gefühlen doch oft etwas empfindlicheren Muslimen
etwas rücksichtsvoller entgegen zu kommen?
Antwort:
Natürlich bedenkt man solche Grenzen, schon aus dem Gedanken,
sich selbst vor möglichen religiös motivierten Übergriffen
zu schützen. Auch ich weiß schließlich um die
Empfindlichkeit und leichte Verletzbarkeit der Gefühle bei den
besonders unter ihrer eigenen Unterdrückung leidenden
Religionsvertretern. Antisemitische Klischees wie die von den Nazis
erfundene jüdische Hakennase kann man ja leicht vermeiden, indem
der Rabbi zum Beispiel mit Bedacht eine kleine rundliche
Kartoffelnase bekommt. Auch das Tabu weiblicher Nacktheit im Islam
muss man nicht mit Gewalt brechen wollen, wenn es zum Verständnis
der Grundaussage gar nicht nötig ist. Andere Typisierungen wie
der islamische Turban, die jüdisch-orthodoxen Ringellocken oder
das mittelalterlich-prachtvolle Bischofsgewand sind ja nicht von mir
erfunden und dürften ihren jeweiligen Protagonisten eigentlich
eher gefallen, als Anstoß erregen. Außerdem nehme ich mir
schon die Freiheit, alle Menschen gleich zu behandeln, egal, wie
empfindlich sie als Einzelne auch sein mögen. Übrigens: man
sollte nicht die Verletzlichkeit der Gefühle bei
Nicht-Religiösen Menschen unterschätzen – ich würde
mich zum Beispiel sehr beleidigt fühlen, wenn man mir etwa
Antisemitismus unterstellen würde, nur weil ich es wage, einen
orthodoxen Vertreter der jüdischen Religion so abzubilden, wie
er eben aussieht, und so zu charakterisieren, wie er sich als
Religionsvertreter in dieser Geschichte eben aufführt. Es geht
in dieser Geschichte schließlich für jeden erkennbar nicht
um die in verschiedenen Rollen auftretenden Menschen, sondern um die
jeweiligen religiösen Systeme, die sie vertreten. Und darüber
muss man reden und auch zeichnen dürfen. Unbedingt und ganz
dringend. Die in Artikel 18 der allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen garantierte Gewissens- und
Religionsfreiheit umfasst schließlich ausdrücklich die
Freiheit der Religion UND die der Weltanschauung in
Gleichberechtigung, also auch den Schutz nicht-religiöser bzw
religionskritischer Anschauungen. Wer das nicht aushält, soll
meinetwegen beleidigt sein, aber mein Recht auf freie
Meinungsäußerung und die Freiheit der künstlerischen
Darstellung muss er trotzdem akzeptieren. Wen das immer noch allzu
sehr schmerzt, der sollte zum Arzt gehen und nicht auf die
Barrikaden.
Frage:
Könnte dieses Buch ein Beispiel geben für eine kindgerecht
gestaltete Bilderbuchgeschichte, oder ist es doch eher ein Buch für
kindlich gebliebene Erwachsene?
Antwort:
Das große Dilemma in der ganzen Kinderbuchszene ist doch, dass
fast nur noch nach marktorientierten Gesichtspunkten, also sprich
nach Verkäuflichkeit und maximalem Profit produziert wird. Die
Wirklichkeit hat im Bilderbuch schon lange keinen Platz mehr. Wer
weiterhin auf diesem Niveau ganze Generationen von Kindern zu
unkritischen, zuckersüßen und weltfremden Konsumenten
erziehen will, der wird das auch weiterhin tun, solange es ihm Geld
bringt. Mit so etwas wie Moral oder einem Bildungsauftrag gegenüber
den kommenden Generationen hat das allerdings nichts zu tun. Ich habe
meine Aufgabe in diesem Medium schon immer anders verstanden und mich
damit oft genug zwischen alle Stühle gesetzt. Ein gutes
Kinderbuch ist immer auch ein gutes Buch für Erwachsene, von
denen jeder einmal selber Kind war und im tiefen Inneren ewig bleiben
wird. Das entscheidende Kriterium für mich ist, ob ein Buch eher
die echte Wirklichkeit zeigt oder eine Scheinwirklichkeit erzeugen
will. Wenn diese als solche erkennbar ist, ist es in Ordnung, aber wo
ein Streichelzoo zum Bauernhof oder Wasser zu Wein erklärt wird,
ohne das dies als Märchen bezeichnet wird, da hört für
mich der Spaß auf. Unsere Kinder sind schließlich nicht
dazu da, von uns mit Halbwahrheiten und Betulichkeiten verblödet
zu werden. So gesehen finde ich schon, dass dieses Buch Beispiel
gebend für eine neue Generation aufgeklärter Kinderbücher
sein könnte.
Frage:
Ist es nicht übertrieben, die Religionen gegenüber den
nicht-religiösen Tierchen derart in ein Gut-gegen-Böse-Schema
zu verpacken, dass für alle modernen und aufgeklärten
Formen von Religion überhaupt kein Platz mehr bleibt?
Antwort:
Erstens ist es nicht Aufgabe und Ziel dieses Buches, alle warmen
Seiten von Religionen den Lesern und Betrachtern nahe zu bringen. Das
erledigen schon die unzähligen Kinderbibeln und frommen
Weihnachts- und Gebetsbücher in unseren Büchereien,
Buchhandlungen und Kinderzimmern. Zweitens ergibt sich dieses Schema
ganz von alleine durch die zitierten Grundzüge und
Schreckensgeschichten der Religionen selber. Da braucht man gar
nichts Böses hinzu zu erfinden, das gibt Stoff für mehr als
ein dünnes Bilderbuch, und man sollte eher froh sein, dass noch
so viele Seiten für die pure Lebensfreude der bekenntnisfreien
glücklichen Hauptpersonen übrig geblieben sind, mit denen
man doch sehr gut leben kann.
Man
sollte nicht immer zuerst den Überbringer der schlechten
Botschaften steinigen wollen, sondern man darf ihn ruhig auch mal für
das Überbringen der alternativen und wirklich frohen Botschaften
loben. Ich selbst bin jedenfalls ganz glücklich mit diesem Werk
und empfehle es jedem mit Freuden weiter.